Hubert Burda

Petrarca

Petrarca, Ausschnitt eines Freskos von Andrea di Bartolo di Bargilla (um 1450) Uffizien

In der Mitte jedes Jahres gab es einen Höhepunkt ganz eigener Art. Keine Leit- und Merksätze, kein Wurf des Lassos, kein Kampf um das Titelthema im Blatt. Es waren die Tage des Petrarca-Preises.

Den 600. Todestag des Poeten der Frührenaissance nahm Bazon Brock im Sommer 1974 zum Anlass, mich und meinen Freundeskreis in München dazu zu überreden, einen Literaturpreis ins Leben zu rufen, der sich gegen die vorherrschende engagierte und politisierende Literatur richtete. Der Name des Lyrikers Francesco Petrarca (1304 – 1374) sei Programm genug für eine ästhetisch richtig verstandene Moderne. Brock war von einem Aufsatz des Philosophen Joachim Ritter mit dem Titel »Landschaft« beeindruckt, in dem Petrarcas lyrische Beschreibung einer Besteigung des Mont Ventoux in der Provence als ein auf die Moderne verweisendes Ereignis gedeutet wurde. Die Jury war schnell zusammengestellt: Nicolas Born, Bazon Brock, Peter Handke, Michael Krüger und Urs Widmer. Ich fungierte als Stifter. Ab 1975 zeichneten wir Dichter aus aller Welt aus. Die Preisverleihung wurde auf drei Tage angelegt. Eine etwa 50-köpfige Gesellschaft aus Literaten und Literaturfreunden fand sich jeweils an einem Ort zusammen, der im Leben Petrarcas eine Rolle gespielt hatte. Neben der eigentlichen Preisverleihung wurden Lesungen und kunsthistorische Führungen veranstaltet.

Gehe ich heute den Bildband »Im Garten der Dichter« durch, der die ersten zwanzig Jahre des Preises dokumentiert, dann steigen die Erinnerungen wieder an die Dichterlesungen in italienischen Gärten und Villen auf, an Sarah Kirsch und Ernst Meister, an Zbigniew Herbert und Jan Skácel. Als letztes Jahr Tomas Tranströmer den Nobelpreis für Literatur erhielt, dachte ich an Vicenza 1981 zurück, wo wir ihn zum Petrarca-Preisträger gekürt hatten, und an das Bild des jungen Tomas, der im barocken Park des Hotels Michelangelo posierte, sowie an den gemeinsamen Besuch der Palladio-Villa »La Rotonda«.

Für viele, die mich nicht kannten, passte da einiges nicht zusammen. Und fremde Gäste, die zur Preisverleihung dazukamen, sprachen hinter vorgehaltener Hand vom »Illustriertenheini«, der sich nach intellektueller Aufwertung sehne. »Der Spiegel« berichtete Juni 1977 gleich auf fünf Seiten über den Skandal bei der Preisverleihung an Herbert Achternbusch, der im Furor den Scheck für sein Preisgeld zerrissen hatte. Nur für mich war das Nebeneinander von »Bunte« und Petrarca-Preis kein Widerspruch. Aus der Historie der Münzprägung wusste ich, dass jede Münze zwei Seiten hat und auf jeder Seite ein anderes Thema steht. Erst beide zusammen ergeben das Bild der Stadt, des Landes, des Fürsten. Doch erst beide Seiten zusammen ergeben auch eine gültige Münze. Nur weil ich nicht bloß als Verleger Geld verdienen musste, sondern zugleich jemand war, der sich für Tradition und Gegenwart der Künste interessierte, konnte ich letztlich produktiv sein und die Zeichen der Zeit richtig erkennen.

Heitere drei Tage im Süden, mit Freunden, mit Dichterlesungen und einfühlsamer Betrachtung antiker Bauwerke und Renaissance-Kunst, das war der Petrarca-Preis. Die Exkursion entsprach der Grand Tour, die Zöglinge der englischen Aristokratie im 18. Jahrhundert zur Horizonterweiterung ihrer Bildung nach Italien und Griechenland unternahmen. Fast vierzig Jahre später existiert der Petrarca-Preis immer noch, zusammengehalten durch prägende Freundschaftserlebnisse seiner Teilnehmer.

Die Polarität zwischen der Welt der Kunst und der Welt der Printmedien habe ich dann aber erst in der schon erwähnten Ausstellung von Kirk Varnedoe - »High and Low« in New York Ende 1990 - vollends verstanden. Hier wurde gezeigt, dass schon der Beginn der modernen Kunst in der Auseinandersetzung mit der Mitte des 19. Jahrhunderts in Paris einsetzenden Plakat- und Werbetechnik, der Fotografie und etwas später dem Kino bestand. Auch Motive aus der Werbung fanden Eingang in die Kunstwerke.

Als ich im Herbst 2010 mein Buch »In Medias Res« publizierte, wählte ich als Titel eine Collage von Picasso, in der ein Papierausschnitt der damals bekannten Zeitung »Le Journal« verwendet wird.

Dass ich mich in der Spannung zwischen Illustriertenwirklichkeit und subjektivem Kunstempfinden – beim Lesen von Gedichten oder beim Betrachten eines Tafelbildes - bewegte, empfand ich als Inspiration. Kreatives Denken war für mich immer poetisches Denken. Mein sprunghaftes Denken und meine Lust an der Verknüpfung angeblich unvereinbarer Lebensbereiche suchte immer nach Bildern, nach Vergleichen, nach Metaphern. Poesie - das waren die seltenen Stunden der wahren Empfindung, wie Peter Handke eines seiner Bücher nannte. Andere Beispiele für kreatives Denken fand ich in Comics, Graffiti und Collagen.


aus Die BUNTE Story. Ein People-Magazin in Zeiten des Umbruchs, ab S. 88 (2012)