Fabjan Hafner

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Petrarca-Übersetzerpreis, 1990 († 2016)

war ein Kärntner slowenischer Schriftsteller, Lyriker, Literaturwissenschaftler und Übersetzer aus Österreich.


Peter Handke

Vom Übersetzen: Bilder, Bruchstücke, ein paar Namen

Für Fabjan Hafner zu seinem Petrarca-Übersetzerpreis

Als ich zu lesen anfing, die kleingedruckten Namen der Übersetzer, von denen nichts sonst bekannt war, als ein magischer Zusatz zu den fremdländischen Romanen: Sigismund von Radecki (bei Dostojewski), Guido M. Meister (bei Camus), Georg Goyert (bei Joyce), Helmut M. Braem (bei William Faulkner), Helmut Scheffel (bei Michel Butor), Elmar Tophoven (bei Samuel Beckett, Alain Robbe-Grillet)... Vorstellung dieser Männer: ernsthafte, von der Welt zurückgezogene, ganz im Dienst der Sache stehende, unsichtbare Würdenträger. Um so klangvoller für den beginnenden Leser die bloßen Namen.

Seltsames Zusammentreffen später: der Vermittler meines ersten Manuskripts an einen Verlag war ein Übersetzer. Der leibhaftige Mann entsprach ganz und gar nicht meinem Übersetzer-Bild: Statt ein schweigsamer bloßer Umriß zu sein, beherrschte er die Szene; nicht die Leisheit eines Dieners, sondern das Schmettern eines Kämpfers (und er hatte auch tatsächlich am Spanischen Bürgerkrieg teilgenommen). Ein Hoch dem Kämpfer!

Jahre danach als Gast bei einem Übersetzertreffen, wo die fremdsprachigen Versionen eins meiner Bücher durchgesprochen wurden. Die Übersetzer dann als Gruppe, die einzelnen gesichtslos, aber anders, als ich es mir einst vorgestellt hatte, zugleich würdevoll, aber anders als in meiner Vorstellung.

Im Lauf der Jahre dann freilich die Begegnungen mit den einzelnen Übersetzern, Begegnungen auch mit Vereinzelten, darin selbstbewußt, kindlich (kindlicher als die meisten andern Alleinarbeiter, kindlich wie wohl nur noch der und jener Schuster oder Schneider, wenn er aus sei. nem Hinterzimmer kommt, mit von seiner Kleinarbeit belebten Augen). Es waren Begegnungen, wo der Übersetzer, statt der großen des Schreibers, seine wohltuenden Kleinfragen stellte, zu Wörtern. Dingen und vor allem Orten: das Entscheidende, jedenfalls beim Prosa-Übersetzen, schien das richtige Wiedergeben der Erzähl-Orte. der Winkel, der Ortsbegrenzungen, der Übergänge zu sein. Mit diesen Fragen vergingen Stunden, die Autor und Übersetzer immer wieder als ein zusätzliches, gemeinsames Buch erlebten, worin Möglichkeit und Unmöglichkeit des Übersetzens von einer Sprache in eine andere, und schließlich das freche Für-möglich-Erklären auch der Unmöglichkeiten, sich miteinander verbanden.

Eher zufällig, absichtslos, dann ein eigener Übersetzungsversuch: zwar einige Absätze nur, begonnen eher zum Spaß oder Zeitvertreib, aus Flauberts »Un coeur simple« (oder doch mit einer Absicht: eine Ahnung von dieser Tätigkeit zu bekommen, weil die Heldin einer geplanten Geschichte eben Übersetzerin sein sollte) - dann aber unversehens die Entdeckung: mit solcher Suche nach Entsprechung, in Wörtern, Strukturen, Rhythmen, nicht nur etwas nachzuziehen oder wiederzugeben, sondern etwas zu schaffen, ja, am Werk zu sein, und zwar Satz für Satz, Absatz für Absatz, stetig, ein Gefühl, das sich beim ursprünglichen Schreiben (oder wie man das nennen sollte) nur sporadisch oder im nachhinein einstellte. Müßte ich ein Verb finden für solches Tätigsein, es hieße lichten«, oder »gliedern«, oder besser noch: »heben.

Danach die Zeit, da man selber ein Übersetzer war. Nun konnte man von sich ebenso wenig als von einem »Übersetzer« reden wie von einem Schriftsteller; höchstens, so wie »Ich habe geschrieben«: »Ich habe übersetzt. Von derartigem Übersetzen, das fast immer meine eigene Wahl war und mit dem ich nie jemand anderm eine Arbeit wegnahm, habe ich mich in der Regel geschützt gefühlt - als hätte ich dabei so etwas wie einen Schutzmantel an. So wie ich mich an jenes »Heben machte, setzte die Ruhe ein. Das eigene Schreiben konnte jedesmal neu von Ungewißheit begleitet sein, im Übersetzen nahm ich im Stuhl meinen Platz ein. Den Schreibenden sah ich manchmal als den eher unsteten »lover«, den Übersetzenden als den unbeirrbaren Freund.

»I don't want a lover, I just need a friend«, so singt das Mädchen der Gruppe Texas, aber das könnte auch das Lied der vom Schreiben umworbenen Frau Welt sein. Für mein Übersetzen war es freilich die Bedingung, daß ich jeweils mit dem Text mitspielen konnte; diese Art Mitspielen, sozusagen unsichtbar, hinter der Bühne, erschien mir als die gleichmäßigste, zudem am reinsten teilnehmende Lebensform. Möglichkeit und Paradox des Übersetzenden: Mitspielend, läßt er sich aus dem Spiel; er wird sein Selbstspiel los, indem er mitspielt.

Und dann, und jetzt, von den paar Übersetzenden, die ich kenne, Bilder bei ihrem Tätigsein, die sich aneinanderreihen und im Gedächtnis zu einem Zug werden, Augenblicksskulpturen aus Luft: Der eine, eine ausführliche Skizze anfertigend von der Sache, die der Autor gemeint hat, oder nicht, lieber Freund?; der andere, nach einer langen Reise einquartiert in einem kümmerlichen Zimmer am Spielort eines Buchs, um da am Fenster stehend zu überprüfen, ob die Sonne zu Frühlingsanfang tatsächlich, wie beschrieben, zwischen jenen beiden Berggipfeln untergeht; noch ein anderer, bei jedem Verständnisstocken mit sei. nem schweren Kopf zum Bücherregal gehend und dort ausrufend:

Oh, Autor, was hast du da nur wieder geschrieben, dieser Satz, das kann doch nicht dein Ernst sein!, und am Schluß geradezu ein Wappenbild vom Übersetzer, eine wie windschiefe Gestalt, die mit der einen Hand schreibt, das Blatt neben dem Original auf den Knien, und mit der anderen das schwerstmögliche Wörterbuch hebt oder gar über den Kopf stemmt, Skulptur einer bisher unbekannten, im verborgenen praktizierten Athletikdisziplin; die ägyptischen Schreiber, lässig im Schneidersitz, hatten es, zumindest dem Anschein ihrer Bildnisse nach, ungleich leichter als unsere Übersetzer in ihrer Grundfigur, der Verrenkung,

Übersetzen: im Zentrum des Geschehens; Schreiben: am Rand, mit dem fortwährenden Versuch, sich einem Zentrum zu nähern, das ungewiß bleibt - bleiben muß? Und dann, und doch; und doch: im Lauf der Übersetzenszeit, mit der selbstbewußten Vorstellung, sich im Aufschreiben, dem Fügen der Worte und Sätze immer nur stetig vorwärts zu bewegen, zugleich auch ein Bedürfnis, den Schutzmantel abzuwerfen, der zwischendurch ebenso ein Sklavenkettenhemd war, wieviel Kraft nahm das Übersetzen, das, anders als die Verausgabung des unmittelbaren Schreibens, nicht als Schwade des Neuen auf einen kommt; Bedürfnis, den gewissen Ort zu verlassen und sich auszusetzen dem Himmel-Hölle-Spiel des ursprünglichen Schreibens, mit dem luciferischen »Das bin jetzt ich!« Bedürfnis, Sehnsucht? Drang? Trieb? - nach jenem so tieferen Selbstbewußtsein, dem triumphalen Selbstbewußtsein im Scheitern, statt immer nur der Verstehende, der auf das Spiel des anderen ideal Eingehende zu bleiben; Aufkündigung der sicheren Freundschaft für die Unbedingtheit des Wahnsinns der Liebe: weg, hinaus aus der Übersetzerheimeligkeit in die Wildnis des Schreibens, Tastens, Spurens, wo man in seinem Element« ist, ein Element, das dem Übersetzenden doch fehlt, gefehlt hat? Weg mit dem sicheren gesenkten Blick auf das Vorhandene, das Buch, sondern der in Augenhöhe, wo vielleicht nichts ist, vielleicht aber auch hin und wieder nicht nichts. Mitten im Schreiben sind wir mitten im Tod, aber auch mitten im Leben, wie bei nichts sonst vielleicht. Also nieder mit dem Übersetzen? Vielleicht so: am Anfang und am Ende die unstete, zögernde Linkshändigkeit des Schreibens, dazwischen die stetige, ruhige Rechtshändigkeit des Übersetzens und danach, darüber, daneben, allezeit die Freihändigkeit des Nichtstuns. Also!