Broschur, 248 Seiten, Edition Petrarca, 2005

Broschur, 248 Seiten, Edition Petrarca, 2005

Die Welt ist aus den Stoff, der Betrachtung verlangt

Ein Gedichtbuch für Hubert Burda zum 65. Geburtstag

Herausgegeben von Uwe Brandner unter Mitarbeit von Maria Petras

Vorwort

Über siebzig Autorinnen und Autoren sind hier mit über hundertfünfzig Gedichten und Prosaarbeiten versammelt, ein großes poetisches ABC. Wir fangen an mit der Österreicherin Ilse Aichinger, gefolgt vom Tschuwaschen Gennadij Ajgi, und hören auf mit dem Slowenen Uroš Zupan und einem Brief der russischen Dichterin Marina Zwetajewa, von Ilma Rakusa übersetzt. Keine bestimmte Generation, keine Herkunft, kein Thema, kein Stil ergeben hier eine Anthologie.

Dieses Buch ist ein Dokument einer einzigartigen Reisegesellschaft. Seit 1975, also seit dreißig Jahren, trifft sich eine Gruppe von Dichtern, Schriftstellern, Publizisten und Kulturwissenschaftlern einmal im Jahr, in wechselnder Zusammensetzung, um einen festen Stamm von Freunden: jedes Jahr an einem anderen Ort, an einem Wochenende im Juni.

Dann wird die Literatur gefeiert!

So ist man inzwischen durch Italien, Frankreich, Österreich und Deutschland gezogen, mit Gästen aus Australien, England, Frankreich, Rußland, Schweden, Polen, Slowenien und anderen Ländern. Diese Gesellschaft heißt seit 1975 Petrarca-Preis und seit 1999 Hermann Lenz-Preis.

»Große Zeit!, es gibt so etwas also auch heutzutage noch, diese und jene Stunde lang und die verfliegt nicht wie eine bloße Stimmung«, schreibt Peter Handke.

Wie ist diese Gesellschaft zustande gekommen? »Die Geschichte des Petrarca-Preises ist eine Geschichte der Freundschaft«, erinnert sich Michael Krüger.

An einem Wochenende im Juni 1974 trifft sich eine Gruppe von Freunden bei Hubert Burda zum Frühstück. Ein gerade erschienener Artikel über den Renaissance-Poeten Francesco Petra Thema des Gesprächs. Man spricht über die legendäre Besteigung des Mont Ventoux durch diesen Dichter und wie dessen für künftige Generationen die ästhetische Wahrnehmung von Landschaft geprägt hat; darüber, daß dieser Mann damals auf dem in Rom mit einem Lorbeerkranz zum Dichter gekrönt wurde, von der Liebe und ihrer Darstellung als auslösendes Moment für die Dichtung: die unerreichbare Laura, die Petrarca, dieser Vielgereiste, ein Leben lang besungen hat und damit auch zu einem der ersten der Moderne wurde.

Hubert Burda stiftet einen künftigen Petrarca-Preis. Die Freunde bilden eine Jury und benennen alljährlich einen Preisträger. Die erste Verleihung findet 1975 auf dem Mont Ventoux statt, dem windumtosten Berg in der Provence, dann folgen die Orte, an denen Petrarca gelebt und gearbeitet hat. Die erste Jury bilden Peter Handke, Michael Krüger, Bazon Brock, Nicolas Born und Urs Widmer, später werden Zbigniew Herbert und Lars Gustafsson eingewechselt, und seit 1985 gehören zu den ersten beiden noch Alfred Kolleritsch und Peter Hamm. Später wurde der Petrarca-Preis durch einen Übersetzerpreis ergänzt und der Nicolas Born-Nachwuchspreis gegründet, um an den so früh verstorbenen Freund zu erinnern.

Nach dem Tod des Petrarca-Preisträgers Hermann Lenz 1998 entschloß sich der Kreis um Hubert Burda, mit ihm als Stifter (und in Zusammenarbeit mit Lenz' Frau Hanne) einen Hermann Lenz-Preis zu gründen.

Die Reisegesellschaft bewegt sich jetzt in Deutschland und reich auf den Spuren von Freund Hermann Lenz, der auch e dauernder und begeisterter Wanderer war. Der Preisträger soll in Deutscher Sprache schreiben, und ihm zur Seite gestellt werden Stipendien und Auszeichnungen für Dichter aus Osteuropa.

Dieses alljährliche Treffen geht jetzt ins siebte Jahr.

Von seinen Lieblingsgedichten zitiert Hubert Burda besonders gerne das Gedicht von Nicolas Born, »Es ist Sonntag«. Darin wird ein schläfriger, gleichwohl intensiver Sommersonntag geschildert, und es endet mit den Worten: »dieses alles ist der Beweis für etwas anderes«. Daß man durch die Dichtung zu einer anderen Art von Erfahrung gelangt, die auf unser Leben zurückwirkt, dessen Zwänge die Sehnsucht nach anderem hervorgerufen haben: daß die Welt der Tatsachen auch durch die dichterische Vorstellungskraft bewegt wird – dies hat unter anderem auch mich dazu veranlaßt, die dazu auffordernden Eröffnungszeilen aus Ilse Aichingers Gedicht »Winterantwort« zum Titel dieses Buches zu machen:

»Die Welt ist aus dem Stoff, der Betrachtung verlangt«

Uwe Brandner