focus.de: Petrarca in Marbach

Verleger Hubert Burda vergab nun den Petrarca-Preis an Kito Lorenc und Miodrag Pavlovic im Schiller-Nationalmuseum. Das berühmte Archiv glänzt mit Schätzen – und aktivem Freundeskreis

Es ist der Erinnerungsort der deutschen Literatur: Marbach am Neckar, 20 Kilometer von Stuttgart entfernt, hier wurde Friedrich Schiller geboren. Oberhalb der Altstadt, mit Blick über Fluss- und Hügellandschaft, wurde 1903 das Schiller-Nationalmuseum eröffnet. Hier zeugen Manuskripte, Kleidung und Kurioses wie des Dichters Bettglocke von Leben und Werk des Klassikers.

Der eigentliche Schatz aber liegt unter dem Anbau nebenan, wo das Deutsche Literaturarchiv hinterlassene Handschriften, Manuskripte, Briefe deutschsprachiger Dichter und Denker von der Aufklärung bis zur Gegenwart verwahrt. 1200 Privatarchive befinden sich hier. Das – zumindest nach dem Geldwert – wertvollste Einzelstück lagert verborgen in einem Panzerschrank: das Manuskript von Franz Kafkas Roman „Der Process“, 1988 spektakulär für 3,5 Millionen Mark ersteigert.

Im scherzhaft „Auerbachs Keller“ genannten Trakt wird in 20 000 Archivboxen aufgehoben, was schon den Dichtern bewahrenswert erschien. Weggesperrt ist es nicht. Die Kartons sind für Forscher einsehbar im Lesesaal. Und sie werden eifrig genutzt. Literaturwissenschaft am Manuskript und Auswertung biografischer Skizzen liegen im Trend, sagt Archivleiter Ulrich von Bülow. Die Nutzerzahlen steigen.

In Marbach wird Literatur zum Leben erweckt, zur Diskussion gestellt. Und nicht etwa bloß musealisiert. Insofern ist es der ideale Ort, um – wie jetzt geschehen – während eines Festakts den Petrarca-Preis für europäische Literatur zu verleihen. Die vom Verleger Hubert Burda gestiftete und mit 20 000 Euro dotierte Auszeichnung hat sich zum Ziel gesetzt, Autoren eine breitere Aufmerksamkeit zu sichern, „die trotz ihrer Bedeutung für ihre heimatliche Literatur in Deutschland nicht ihrem Rang gemäß wahrgenommen werden“.

In seiner Eröffnungsrede erinnerte Hubert Burda an die fast 40-jährige Geschichte des Preises. „Jährlich richten wir ein Fest für die Literatur aus, meist an literaturhistorisch bedeutsamen Orten.“ Marbach stehe in dieser Tradition, weil es das „kollektive Gedächtnis“ der Literatur in Deutschland beherberge. „Um Marbach beneidet uns ganz Europa.“ Wie sich dort, so Burda, „öffentlicher Kulturauftrag und privater Bürgersinn mischen“, sei vorbildlich. Der „Freundeskreis des Deutschen Literaturarchivs Marbach“ fördert die Institution seit 1995. Porsche, die Robert Bosch Stiftung, Daimler sowie die Unternehmer Reinhold Würth und Berthold Leibinger zählen unter anderen zu den Unterstützern. „Eine wunderbare Mischung hier in diesem Genius Loci aus schwäbischem Fleiß, industrieller Tüchtigkeit. Dann aber auch Pegasus mit seinen scharrenden Hufen als Medium der Inspiration, der Fantasie, der Literatur“, lobte Hubert Burda.

In diesem Jahr entschied sich die Jury, die sich aus dem Dichter Peter Handke, dem Schriftsteller und Kritiker Peter Hamm, dem Autor und „Manuskripte“-Herausgeber Alfred Kolleritsch sowie dem Schriftsteller und Verleger Michael Krüger zusammensetzt, für zwei Preisträger. Im prächtigen klassizistischen Saal des Marbacher Museums wurden am vorvergangenen Wochenende der Sorbe Kito Lorenc und der Serbe Miodrag Pavlovic geehrt.

Der 74-jährige Lorenc habe sich, so sagte Handke in seiner Laudatio, eine kindliche Lust am dichterischen Spiel bewahrt. In seiner Lyrik feiere er die bedrohte Kultur und Sprache der Sorben und seine Heimat, die Landschaft der Oberlausitz – eine Region, die Handke selbst besonders liebt. „Ich habe sie immer wieder durchfahren, mehr noch durchwandert, durchstreunt, durchforstet.“ Handke empfiehlt allen „Genießern, Horizontbedürftigen, Lesern: nichts wie hin!“

Auch das Werk des 1928 geborenen Miodrag Pavlovic sei entscheidend geprägt vom Verlust der Heimat, erläuterte Peter Hamm in seiner Lobrede. Der Moment, in dem Pavlovic beschloss, zum Dichter zu werden, sei exakt bestimmbar: Es ist der April 1941, als der geflohene 13-Jährige mitansehen musste, wie deutsche Bomber seine Heimatstadt Belgrad zerstörten. Kriegserfahrung, Verlustangst und Trauer prägen Pavlovics Werk. Deutlich herauszulesen sind sie aus seinem Erinnerungsroman „Die Bucht der Aphrodite“ von 2000, dieser, so Hamm, „unerhört vielschichtigen Rhapsodie“.

Peter Handke nennt Pavlovic im Nachwort zu dessen Gedichtband „Einzug in Cremona“ einen „unverwöhnten“, ja sogar „unverwöhnbaren“ Dichter. Einen, der sich nicht vereinnahmen lassen wolle, der sich kaum öffentlich äußere, sondern allein durch seine Dichtung wirke.

Es sind diese unverwöhnten Dichter, die der Petrarca-Preis ins Licht der Aufmerksamkeit rücken möchte. Dass das immer wieder gelingt, bewies im vergangenen Jahr der Nobelpreis für den schwedischen Lyriker Tomas Tranströmer, Petrarca-Preisträger von 1981.

In Marbach stieg die Festgesellschaft selbstverständlich hinab in „Auerbachs Keller“. Immer häufiger geben Autoren schon zu Lebzeiten ihren sogenannten Vorlass nach Marbach, um Forschern die Arbeit an ihrem Werk zu ermöglichen. So auch Jury-Mitglied Peter Handke; seine Papiere gehören zu den meistgenutzten Beständen im Archiv. In einem seiner Kartons, die der Schriftsteller bewegt, aber zugleich auch befremdet inspizierte, fand Handke Notizbücher aus den Jahren 1966-75 wieder, mit Sprachstudien, Fotos sowie autobiografischen Notizen.

Es sei merkwürdig, dies alles katalogisiert präsentiert zu bekommen, sagte Handke. Aber „wenn das einmal Aufgeschriebene durch Leser genutzt wird, dann wird es eben auch zum Leben erweckt“. Und darum geht es ihm und den anderen im Petrarca-Freundeskreis: Sie wollen Literatur leben und verlebendigen.