focus.de: LYRIK - Im Namen Petrarcas

Atempause nach 20 Jahren: Hubert Burda plant die Weiterführung des Poesie-Preises 1997

Von Stephan Sattler

Die Rückkehr zum Ausgangspunkt schließt einen Kreis: Zum letzten mal traf sich in diesem Jahr die Dichter- und Freundesrunde des „Petrarca-Preises“ am Mont Ventoux – dem „windigen“ Berg der Provence (1912 m), den Petrarca im Jahre 1336 bestiegen haben soll. Vor 20 Jahren wurde dort der Petrarca-Preis zum ersten mal verliehen – posthum an Rolf Dieter Brinkmann, der im April 1975 in London tödlich verunglückte.
Aber Hubert Burda, der Verleger und Stifter des Preises, muß sich des Kreises als Symbol für die Zeit bewußt gewesen sein – seit der Antike steht der Kreis für die Umschreibung der Dauer -, als er in seiner Rede zum Schluß des Treffens verkündete: „Wir sehen uns in zwei Jahren wieder.“ Der Petrarca-Preis wird also fortdauern. In welcher Form er jedoch in Zukunft existieren wird, das ließ Hubert Burda offen.
Die ursprüngliche Idee des Preises, so wie sie im Jahr 1974 im 600. Todesjahr Petrarcas von Peter Handke, Bazon Brock, Michael Krüger und Hubert Burda entwickelt wurde, verfolgte eine besondere Absicht: Durch Wanderungen auf den Spuren Petrarcas sollte eine vergangene Zeit in die Gegenwart zurückgeholt, sollte der Gedanke der Renaissance wiederbelebt werden.

Damals, 1974, stand die Lyrik vor einem Neuanfang. Es galt, sich von der linken, allein der Veränderung der Gesellschaft verpflichteten Literatur zu verabschieden. Petrarca, der Humanist und Renaissancedichter des 14. Jahrhunderts, der die Literatur der Antike in seiner Zeit wieder zur Wirkung brachte, wurde als Patron ausgewählt. Sein Name stand für eine neue, „subjektive“ Literatur. Bazon Brock, heute Ästhetikprofessor in Wuppertal, formulierte es so: „Den Kern der Haltung des Lyrikers bildet nach Auffassung Petrarcas die Fähigkeit und der Anspruch eines Menschen, ,Ich zu sagen. „
Die Bedeutung des Petrarca-Preises bestand seit 1975 darin, öffentlich zu- wenig beachteten Lyrikern ein Forum zu bieten. Mit dem Polen Zbigniew Herbert (1979), dem Schweden Tomas Tranströmer (1981) und dem Tschechen Jan Skàcel (1989) wurden einige der bedeutendsten Lyriker des Jahrhunderts dem deutschen Publikum bekanntgemacht.
Auch der diesjährige Preisträger Les Murray zählt zu dieser Gruppe. Über den hierzulande fast völlig unbekannten Australier schrieb der Nobelpreisträger Derek Walcott: „Es gibt keine andere Poesie englischer Sprache, die so tief in Heiligkeit wurzelt, die so breit gefächert ist in ihrem Vergnügen und zugleich so intim und so zugänglich.“
Michael Krüger, Leiter des Hanser-Verlags, ging es in seiner eindringlichen Laudatio um Murrays Credo: „Ich glaube, daß Dichtung das beste Modell ist, nach dem sich Menschen ihre Realität organisieren können . . .“
Der Petrarca-Übersetzer-Preis ging an Verena Reichel, die der schwedische Schriftsteller Lars Gustafsson würdigte. An seiner deutschen Übersetzerin lobte er ihre Zweisprachigkeit, ihre Kunst des virtuosen Literaturtransfers. Peter Handke, der die Lobrede auf den Nicolas-Born-Preisträger Arnold Stadler und dessen jüngst beim Residenz-Verlag erschienenen Band „Mein Hund, Meine Sau, Mein Leben“ hielt, bemerkte, „Autoren wie Stadler und ich“ hätten die Kindheit „noch gemeinsam“. Aber Automatisierung und Mechanisierung hätten heute einen Bruch zu den „alten Lebensformen“ herbeigeführt, vergleichbar dem „zwischen Mittelalter und Neuzeit“. Diesem von Handke betonten Umbruch im Bewußtsein der Gegenwart wird sich der Petrarca-Preis in Zukunft stellen müssen, in welcher Form er auch immer vortexistieren wird.

Hubert Burda begründete einmal sein Engagement für den Preis so: „Ich wollte nie stromlinienförmiges Sponsoring. Ich wollte dort helfen, wo die öffentliche Aufmerksamkeit noch nicht – oder nicht mehr – für Förderung sorgte: So entstand der Petrarca-Preis, zu einer Zeit, als die Lyrik wenig galt auf dem Marktplatz der Kultur.“ Man darf gespannt sein, wie es mit dem Petrarca-Preis – nach einer Atempause – im Jahr 1997 weitergeht. n

PETRARCA-PREISE

40 000 Mark erhielt Les Murray für den Haupt-Preis, 15 000 Mark Verena Reichel für den Übersetzer-Preis, 25 000 Mark Arnold Stadler für den Nicolas-Born-Nachwuchs-Preis

PETRARCA 1995: PREISTRÄGER UND JURY

VERLEIHUNGSORT
Die diesjährigen Petrarca-Preise wurden am 17. Juni im Refektorium der ehemaligen Abtei von Montmajour in der Nähe von Arles (Provence) verliehen. Einen Tag zuvor bestiegen Preisträger und Geladene den Mont Ventoux, Petrarcas „windigen“ Berg nahe Carpentras, auf dessen Gipfel im Jahr 1975 der „Petrarca-Preis“ begründet wurde.

PETRARCA-JURY

1975-1979: Nicolas Born - Bazon Brock - Peter Handke - Michael Krüger - Urs Widmer

1980-1984: Bazon Brock - Lars Gustafsson - Peter Handke - Zbingniew Herbert - Michael Krüger - Urs Widmer

1987-1995: Peter Hamm - Peter Handke - Alfred Kolleritsch - Michael Krüger

PETRARCA-ROUTEN

Reisen und Wanderungen auf den Spuren Petrarcas gehörten zu den besonderen Absichten des Petrarca-Preises. Petrarca, der im 14. Jahrhundert an vielen Orten Europas, vor allem aber in Italien und Südfrankreich lebte, entdeckte als erster Europäer die Bedeutung des Reisens, um Landschaften wahrzunehmen. Vor allem seine Beschreibung der Besteigung des Mont Ventoux wird als Ursprungstext poetischer Beobachtung der Natur angesehen.

Die Routen des Petrarca-Preises teilen sich in drei Abschnitte entsprechend den drei Jurys, die von 1975-79, von 1980-84 und von 1987-95 (siehe Kasten S. 100 oben) die Preisträger auswählten.

Grüne Route

Mont Ventoux – Arquá Petrarca – Tusculum – Siena – Verona

Rote Route

Florenz – Vicenza – Sils Maria – Vézelay – Avignon

Gelbe Route

Asolo – Triest – Lucca – Siena – Turin – Modena – Perugia – Weimar – Mont Ventoux

 
 
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